«Das Nothilfesystem macht krank»

«Die Situation der Menschen im Nothilfesystem ist alarmierend»

Im sogenannten Nothilfesystem für abgewiesene Asylsuchende in der Schweiz sind die Bedingungen fast überall menschenunwürdig und gesundheitsschädigend. In einem Offenen Brief an die Behörden, Politik und Vollzugsorganisationen fordern 453 Fachpersonen aus Medizin, Psychotherapie und Psychologie eine humane Behandlung von Asylsuchenden mit Negativentscheid.

Offener Brief

Praxis entwürdigend und krankmachend

«Hilfreiche Behandlungsvorschläge kommen in der Nothilfe nicht zum Tragen, eine oft dringend angezeigte Psychotherapie ist meist nicht durchführbar», kritisiert Urs Ruckstuhl, Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, das Nothilfesystem. «Das begünstigt den vorschnellen, einseitigen und manchmal sogar missbräuchlichen Einsatz von Psychopharmaka. Die Not wird betäubt.» Für Kinder und Jugendliche in der Nothilfe kann das System gesundheitlich besonders schädigend sein. Viele sind traumatisiert von Kriegssituationen, abrupten Beziehungsabbrüchen, Hunger, Todesangst der Eltern oder dem Gefühl von Ohnmacht und Ausweglosigkeit.

Das Nothilfesystem: Verordnete Armut …

Asylsuchende, deren Gesuch abgelehnt wird, erhalten seit 2008 die sogenannte Nothilfe. Das Nothilfesystem wurde in der Schweiz eingeführt, um Asylsuchende mit Negativentscheid dazu zu bringen, das Land zu verlassen. Je nach Kanton, in dem sich die abgewiesenen Asylsuchenden befinden, beträgt die Nothilfe 7 bis 9 Franken am Tag. Sie erhalten eine Schlafstätte, Krankenversicherung und Sachleistungen wie zum Beispiel eine Zahnbürste oder Hausschuhe.

… menschenunwürdige Unterkünfte ….

Asylsuchende im Nothilfesystem leben in extremer Armut und teilweise in menschenunwürdigen Unterkünften – in unterirdischen Bunkern, in Mehrbettenzimmern ohne Privatsphäre. Sie dürfen nicht arbeiten, leben sozial isoliert und der Zugang zu medizinischen Angeboten ist stark eingeschränkt.

… Langzeitaufenthalt

Das Nothilfesystem funktioniert nur bedingt. Es gibt Menschen, die seit fünf bis zehn, manchmal sogar seit 15 Jahren im Nothilfesystem leben, darunter auch viele Kinder. Laut Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) lebten 2020 1’061 Kinder in der Nothilfe. 380 dieser Minderjährigen befanden sich Ende 2020 seit über einem Jahr in der Nothilfe.

Auch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter ist besorgt

Mitte Februar kritisierte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) die Lebensbedingungen für abgewiesene Asylsuchende in Rückkehrzentren im Kanton Bern. Auch die NKVF zeigte sich besorgt über die Situation von Kindern und Jugendlichen.

Links:

Bericht NKVF

Fachbericht: https://solinetz-zh.ch

Lettre ouverte

Rapport de la CNPT